Rezidiv oder wir wollen leben – Teil IX
Kapitel 38
Am Montag war wieder Chemo-Tag. Diesmal hatten wir es so organisiert, dass Tina mit dem Taxi allein hinfuhr und ihre Schwester im Laufe des Tages nachkam. Obwohl sie pünktlich war, musste sie lange warten, bis sie an die Reihe kam. Es war nur ein Arzt da, der die vielen Patientinnen an die Chemo anschloss. Natürlich hatte auch jede Patientin eigene Fragen. Als Tina endlich an der Reihe war, war ihr erste Frage, wieso er alleine sei und kein zweiter Arzt hier helfen würde. Der Arzt antwortete, dass sie zu zweit wären. Sie erwiderte, dass sie bisher keinen zweiten gesehen hätte. Daraufhin erklärte er ihr, dass seine Kollegin in ihrem Büro wäre und andere wichtige Dinge zu erledigen hätte. Daher glaube ich nun wirklich, dass es auf dieser neuen und großen Onkologie nicht genügend Personal gibt.
Nun berichtete meine Frau von ihrem Nasenbluten. Der Arzt fragte, wie viel Blut es denn gewesen sei. Sie antwortete wahrheitsgemäß, dass sie auf die Menge nicht geachtet hatte, da sie eine panische Angst gehabt hätte. Der Arzt beruhigte mit den Worten, solange aus der Nase keine Tasse voll Blut kommen würde, wäre alles halb so schlimm. Also liebe Krebskranke in der Chemo-Behandlung! Stellt euch immer eine Kaffeetasse bereit. Habt ihr dann Nasenbluten, haltet ihr die Tasse unter die Nase. Sollte die Tasse voll sein, besteht Lebensgefahr!!!!! Für einige andere Nebenwirkungen, wie zum Beispiel Verstopfung verschrieb er ein leichtes Abführmittel. Das ist doch einfach! Man beschreibt einfach eine Nebenwirkung und sofort bekommt man ein Rezept. Wie man das Medikament einnimmt, dosiert und welche Nebenwirkungen es hat, entnehmen Sie bitte dem Beipackzettel. Fragen Sie aber nicht den behandelnden Arzt, da dieser keine Zeit hat. Also liebe Verantwortliche in der Klinik. Wenn euer Haus nicht zum Massenbetrieb mutieren soll, stellt mehr Personal ein. Viele, viele Patienten würden es Ihnen danken und ihr Haus weiterempfehlen. Eine schlimme Geschichte ist auch die Tatsache, dass die Onkologie nur eine Durchlaufstation von jungen Ärzten ist, die jeweils nach längstens einem Jahr ausgetauscht werden. Die mutigen Patientinnen, die dort mit der Chemo drangsaliert werden, verdienen etwas Besseres. Es gibt bestimmt auch Ärzte, die diese Arbeit bei guter Bezahlung ständig machen würden und ihre Berufung in dieser Tätigkeit sehen.
Vielleicht kann dieses Buch helfen, die dortige Situation zu verbessern.
Kapitel 39
Die Zeiten der Erholung der Chemo wurden immer länger. Anfänglich war meine Frau bereits am nächsten Tag so einiger Maßen wieder fit, dass wir bereits etwas unternehmen konnten. Sehr oft trafen wir uns in einem kleinen Cafe am Bahnhof, das in den doch noch warmen Herbsttagen Tische und Stühle nach draußen auf den Bahnhofsvorplatz gestellt hatte. Da verbrachten wir einige Stunden. Oft wollte ich nicht sofort nach Hause. Ich muss jeden morgen früh zur Arbeit. Nach einem langen Tag bin ich am späten Nachmittag so müde, dass ich mich sofort auch die Couch legen würde, wenn ich zu Hause wäre. Damit dies nicht passiert, ist es immer besser gewesen, nicht direkt vom Dienst nach Hause zu kommen. Wenn dann Tina mich vom Bahnhof abholte, konnten wir uns vielmehr über das Tagesgeschehen unterhalten. Ich bekam dann zumeist einen richtigen Schub und wurde fit und wieder aufnahmefähig. Dies war und ist für unsere Beziehung immer sehr wichtig gewesen. Auch gingen wir öfters in die Stadt oder fuhren sofort nach meiner Rückkehr Lebensmittel einkaufen. Dies wurde für Tina immer beschwerlicher. So schmerzte ihr der Kopf. Sie beschrieb es wie ein ständiges Stechen, als würde man ihr die Haare einzeln mit einer Pinzette ausziehen. Hinzu kam ein ständiger metallischer Geschmack im Mund. Sie war sehr schnell erschöpft. Dann bekam sie Schmerzen in den Füßen. Die Medikamente, die sie gegen die Chemo-Nebenwirkungen nahm, wurden immer mehr. Ein Medikament führt zu Verstopfung. Ein anderes half dann dagegen. Irgendwann hörte die Verstopfung auf. Dafür kamen dann ständig Durchfälle. Von wegen, leichte Chemotherapie, wie man uns zu Anfang hatte glauben machen wollen. Bei einer weiteren Chemotherapie teilte wieder eine neue Ärztin mit, dass diese Bemerkung einer leichten Chemo Quatsch sei, da es so etwas gar nicht geben würde. Eine wöchentliche Behandlung sei darüber hinaus doch sehr belastend für den Körper. Diese Ärztin war nur eine Krankheitsvertretung. Allerdings meinte Tina, dass diese die netteste von den bisherigen Ärzten gewesen sei. Sie nahm sich für die Patienten Zeit. Zwischendurch erkundigte sie sich auch nach dem Wohlbefinden. Sie fand öfters einmal ein persönliches Wort. Meine Frau empfand dies als Wohltat gegenüber den bisherigen anderen Ärzten. Deren Part bestand daraus einen Patienten nach dem anderen an der Chemo-Infusion anzuschließen und dann sofort zu verschwinden. Diese Vertretungsärztin war aber ständig präsent und beantwortet nach Kräften die aufkommenden Fragen. Tina hoffte insgeheim, dass die anderen Ärzte doch länger krank bleiben würden, damit diese Ärztin länger in der Chemo-Ambulanz bleiben könnte. Erstmalig erklärte die sie meiner Frau, dass es auch ohne weiteres möglich sei, einmal eine Pause zu machen, um vielleicht einen kurzen Urlaub zu machen. Nunmehr hatten wir geplant, dies nach der 6. Chemo anzugehen. ich war nun gespannt, welche Antwort Tina von einem Arzt bei der nächsten Chemo bekommen würde.
Ich sehnte mich nach einem kurzen Verschnaufen.